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Krabatforschung Kapitel 1: Held gesucht. Die Geburtsstunde des Retters des sorbischen Volkes.


Nach der ausführlichen Einleitung soll es nun direkt in das Buch von Martin Nowak-Neumann und in die Details unseres im Jahre 2021 gehaltenen Vortrages gehen. Ich könnte mit der Geologie beginnen, denn diese hatte auch Einfluss auf die Sagen, die sich bis heute erhalten haben. Aber unser Krabat ist ja noch nicht einmal geboren, also soll es heute um den Ursprung unseres Helden gehen- die Welt, in die er dann hinein stolpert, wird ein nächstes Thema werden.

 

Was denken Sie-wie alt ist Krabat? Ich meine damit die Sage an sich- oder besser: der Gedanke an den Retter der Sorben von der Unterdrückung durch die "Invasoren", die "Deutschen"? Es ist leichter als gedacht, denn sobald zwei Völker aufeinander treffen, eines das Dominante wird, das andere das Unterdrückte, wird die Hoffnung auf einen Helden geboren, der sie befreit. Ob Nowak- Neumann von der Sage wußte, auf die ich stieß, bezweifle ich irgendwie. Warum nutzte er dann einen "Behelfsort",  wenn er doch nur direkt vor die sorbische Haustür hätte schauen müssen? Vielleicht war die sorbische Version auch damals genauso unbekannt, wie sie mir jahrzehntelang war, obwohl ich nur wenige Kilometer davon entfernt aufwuchs... 

 

Von schlafenden Helden in den Bergen

 

"Und sie sehnten sich danach, dass die schlafenden Helden im Berg Kaponiza erwachen und Land und Volk befreien möchten. Und in ihren Märchen erzählten sie sich, dass eines Tages aus dem Volke einer erstehen werde, ein mächtiger Held von großer Kraft und Macht, ein Zauberer gar..."

 

Zitat aus: Martin Nowak-Neumann, Seite 6

 

Kennen Sie diese Art der Sage? Helden, die im Berg ruhen, und eines Tages werden sie wieder auferstehen... das klingt doch nach: Kyffhäuser, oder? Theoretisch könnten Sie auch noch viele andere Sagen dieser Art finden, das ganze nennt sich "Kyffhäuser-Motiv" (Arne-Thompson-Uther-Index) oder auch "King asleep in Mountain" (s. Wikipedia). Also gar nichts Besonderes, oder?

 

Auch bei den Wenden und Sorben finden Sie mehr als eine Sage dieser Art. Wenn Sie sich nun fragen: wo ist der Berg Kaponiza? Nun- manch einer sieht ihn in Polen, wo es auch diese Sage vom schlafenden Helden gibt, rücken wir etwas näher an unsere Krabat-Region, dann wird es noch spannender, denn der "Kaponica" liegt zwischen Neschwitz und Milkel und heißt auf deutsch Hahnenberg! Dort hat man zwar archäologische Grabungen gemacht-und das nicht ohne Grund, denn die Region ist seit Jahrtausenden immer wieder Siedlungsgebiet gewesen, aber ich habe bis heute keine Sage zu schlafenden Helden gefunden.

Es muß wohl noch einen anderen Berg in unserer Region geben, der die schlafenden Helden einer Schlacht birgt...

 

Womit wir abrücken von dem Kyffhäuser-Motiv und plötzlich ganz real vor einer Legende zur Frühgeschichte der Mittellausitz stehen: Der Schlacht an der Blutmühle in der Nähe des Koschenberges mit dem Zusatz, das die Helden die dort liegen  nachts zu hören sind, wie sie stöhnen. (Jede Version dieser Sage ist ein klein wenig anders...)

  

Keine archäologischen Funde, also fand die Schlacht nie statt...

 

Wenn ich eine Sache an Historikern kritisieren muss, dann ist es die einseitige Betrachtungsweise (vor der auch ich nicht sicher bin...) die nur auf Beweisen beruht und die es manch einem guten Historiker so schwer macht, kreativ zu denken und damit vielleicht eine Lösung zu finden. 

 

Doch zuerst zur Legende von der Schlacht an der Blutmühle.

 

Laut diverser Internetbeiträge (die fast alle so aussehen, als hätten sie voneinander kopiert) fand im Jahre 923 in der Nähe von Hosena eine gigantische Schicksalsschlacht zwischen den Wenden unter Radbot und König Heinrich I. statt. Markgraf Gero, auf seiten Heinrichs, spaltete Helm und Schädel des Wendenanführers und so flüchteten die Wenden. Es soll so viel Blut geflossen sein, das die Flüsse rot wurden und die nahe gelegene Mühle seitdem als Blutmühle bezeichnet wurde. Diese Mühle gab es wirklich und der Ort der Schlacht liegt nur ca. 9km vom Ort Schwarzkollm entfernt.

 

 

Karte von den Homannschen Erben aus dem Jahre 1746, Ausschnitt Hosena. Quelle: Deutsche Fotothek
Karte von den Homannschen Erben aus dem Jahre 1746, Ausschnitt Hosena. Quelle: Deutsche Fotothek

In der Karte sehen Sie die 3 Mühlen bei Hosen eingetragen- die Medenitzsch Mühl, die Bluth Mühl und die Kosel(!) Mühl. (Was es mit der Koselmühle auf sich hat und ob sie irgend etwas mit der Krabatsage und der Mühle im Koselbruch zu tun hat verrate ich Ihnen in einem späteren Artikel zum Wort "Kosel".) Den Koschenberg, an dem man übrigens auch eine Blaue Blume und einen Schatz im Berg finden kann, sehen Sie weiter nördlich, den Jungfernstein, den ich bereits in diesem Artikel erwähnte, südlich. Somit hätten wir das Schlachtfeld eingegrenzt, wie es überliefert ist.

 

Diesen Gedanken hatten auch schon viele vor mir, und so grub und buddelte, forschte und durchdachte man in der Vergangenheit diese Legende und kam zu einem ernüchternden Ergebnis. Die Schlacht am Koschenberg, die so oft als Geburtsstunde des Niedergangs der Wenden gegen die Deutschen- als letztes Aufbegehren gegen die Invasoren dargestellt wurde, hat nicht stattgefunden! Es gibt keine Grabungsfunde von Waffen o.ä., die Hinweise auf ein Schlachtfeld geben könnten. Es gab damals kein organisiertes Wendenheer in dieser Form. 923 ist keine Schlacht bei Thietmar und anderen Schreibern zu finden. Also- alles nur eine erfundene Sage. Oder doch nicht?

 

Geschichte wird von Siegern geschrieben...

 

Das Problem mit dieser "Schlacht" liegt im Maßstab ihres eigenen Lebensumfeldes. Was für die Wenden die Schlacht ihres Lebens- der Kampf ihrer Großväter- die Heldentat ihrer Ahnen war (mündlich überliefert) war für die Deutsch- und Lateinsprachigen Schriftgelehrten kaum eine Randnotiz wert. Und so schreibt eben ein Thietmar nicht über jedes kleine Gefecht in dieser Zeit. Somit ist die Schlacht in den Schriften vergessen.

 

Doch warum finden sich keine Waffen, keine archäologischen Hinweise? 

 

Dazu braucht es einen Blick in die Schlachtführung Heinrichs I. und die allgemeine Kriegsführung um 930 n. Chr. Und auch da taten sich Historiker bisher schwer für die Lausitz- kaum auszuwertendes Material- die Lausitz verschließt sich in ihrer Frühgeschichte der Staatenbildung. Ich behaupte: zu regionalspezifisch gedacht! Heinrich regierte ein riesiges Gebiet für damalige Verhältnisse. Und er schlug ganz andere Schlachten, die in der Geschichte ebenso zum Mythos wurden. Und so landete ich bei einem Buch, das sich selbst mit einem Mythos beschäftigt: "Rätsel Riade- die Ungarnschlacht von 933 und Deutschlands Einung" von Günter Mühlpfordt, 2008 erschienen.

 

Herr Mühlpfordt an sich ist ein interessanter Autor, der in dem Buch die Schlacht in der Nähe von Halle verortet. Der Autor selbst wurde zu DDR-Zeiten unter Ulbricht mit einem Berufsverbot belegt- und ich kann mir auch gut vorstellen, warum. Manche zu offenen Denkweisen paßten nicht in den gleichgeschalteten Kommunismus und die Russland-Bruderschaft sowie ungarische Freundschaft.

 

Kurzum: die "Sieger" diktierten auch zu DDR-Zeiten die historische Haltung und die Richtung, in welche gedacht werden darf. Zum Glück sind diese Zeiten wohl vorbei und das Buch ist heute ganz einfach zugänglich, wurde dem Autor doch sogar die "Diamantene Doktorwürde" verliehen.

 

Die Spurensuche in diesem Bereich ergab letztendlich die Neuschreibung der Legende vom Koschenberg- mit meinen Worten, doch basierend auf den historischen Fakten der Schlachtenführung Heinrich I.

 

Die "historische" Legende von der Schlacht am Koschenberg

 

Im Jahre 927 handelte Heinrich I. einen 9jährigen Waffenstillstand mit den plündernden "Avaren" aus, welche auch als "Proto-Ungarn" bezeichnet werden können. Schnelle Reiterei, Fernkampf mit Pfeil und Bogen und Wurfspeer- sie galten als Plage, die man nicht loswurde.

 

Heinrich I. nutzt die Zeit und baut ein völlig neues Heer auf. Dieses mußte ausgebildet werden- es bot sich an, dabei gleich noch die letzten Widerstände der Wenden zu brechen. 929 kommt es unter Heinrich I. zur Gründung der Mark Meißen, es folgen die sogenannten Ostfeldzüge. Der 5. und letzte vor der Schlacht bei Riade ist für unsere Region interessant, denn in diesem schlägt er die letzten Milzener, die sich ihm bisher widersetzten und erobert Gebiete der Niederlausitz.

 

Seine Kampftaktik ist überliefert- man lockt ahnungslose Gegner an und stellt sich unterlegen dar, nur um dann die schwere Panzerreiterei, bestehend aus Straftätern, die Heinrich aus seinen Gefängnissen begnadet hat, völliges Chaos anrichten zu lassen. Diese Panzerreiterei war so furchteinflössend, dass sie bei der Schlacht gegen die kampferfahrenen Ungarn diese in panische Flucht schlug!

 

Genau diese Kampfstrategie wurde vorher bei kleinen Scharmützeln gegen die Wenden erprobt. Ob die größte Schlacht unserer Region nun wirklich tausende Opfer bei den Wenden forderte, darf angesichts einer sehr dünn besiedelten Region bezweifelt werden. Was die Wenden dieser Übermacht entgegen setzten waren Hacken, Äxte und die Ausstattung, die sie auf einem armen Bauerngehöft damals fanden. Die "Schlacht" dauerte vielleicht nur Minuten- die gefallenen Familienväter und Brüder wurden bestattet- die Wenden hätten sie nie auf dem Feld liegen lassen, so kann es auch keine Knochenfunde geben. Waffenfunde? Welcher gut ausgebildete Soldat verliert bei einem so überragenden Sieg eine kostbare Waffe und lässt sie liegen? Es kann keine Waffen geben, wo nie wirklich "gekämpft" wurde.

 

Vielleicht gab es einen ganz kecken jungen Bauern namens Radbot, der die Bauern anführte- das wissen wir nicht. Vielleicht wuschen sich die Überlebenden das Blut ab- und der kleine Graben färbte sich rot vor Blut. Jede Legende hat ihre Ausschmückungen, doch auch jede hat einen kleinen wahren Ursprung.

 

Ich hoffe, ich konnte die Legende von der Schlacht, die einen Helden gebar, ein wenig verständlicher machen. Der Held heißt hier Radbot. Er hatte mit Sicherheit keinen Helm auf. Die Schlacht fand wohl im Jahre 929 statt und nicht 923. Was bleibt, ist der Held, auf den die Sorben warten. Einen, der sie von der Unterdrückung befreit. Es änderte sich bis in das 19. Jh. nichts an dieser Grundstruktur- die Sorben waren die einfachen Untertanen, die Herren waren die Deutschen. Und so wurde Krabat geboren- ein Held, der uns befreit. Eines Tages. Irgendwann...