Nedo, Grollmuß und Andritzki - Sorbischer Widerstand im NS-Regime

Die Sorben sind heute eine anerkannte Nationalität und Minderheit. Wir dürfen frei zu unseren Wurzeln stehen, obwohl wir in unseren Ausweisen deutsch sind. Manch einer ist auch Beides- oder hat sogar weitere internationale Einflüsse. Wer man ist, definiert sich eben nicht auf dem Papier, sondern im Gefühl und in dem Ort, den man als "Heimat" sieht.

 

Dies war nicht immer so selbstverständlich, in der DDR waren wir zwar sehr angesehen- aber waren wir wirklich frei? Angesichts des Einflusses der SED auf den Dachverband der Sorben darf man daran zweifeln, wie unpolitisch eine Minderheit sein kann, wenn sie doch das Paradebeispiel des Arbeiter-und Bauernstaates bedient. Wo Brauchtum zu Folklore wird, ist auch immer der schleichende Tod einer Kultur nicht weit.

 

Heute dürfen wir freier sein als je zuvor, die Wiedervereinigung machte es möglich. Für manch einen war es so viel neue Freiheit, das die alten Wurzeln zu Ballast wurden, schnell wurden wir international und saugten das Neue wie Schwämme auf- Jahrzehnte der Einschränkung hinter einer innerdeutschen Mauer waren auch an uns nicht spurlos vorbei gegangen. Jahre später wurde uns dann doch noch bewusst, was wir aufgeben. Denn Sorbisch zu sein ist nicht, mehrmals im Jahr eine -modisch veraltete- Tracht anzuziehen und heile Welt zu spielen- das hatten wir lange genug in politisch motivierten Umzügen, Festveranstaltungen und Ehrenbekundungen. Diese Welt wollten wir gerade loswerden. Die Politik vom Brauchtum zu trennen scheint nicht so leicht zu sein. 

 

Und so stehen wir Menschen in der Geschichte immer wieder vor einem Problem: machen wir einfach mit- weil die Zeit und die Umwelt es uns vorgeben- oder erheben wir uns- bleiben uns treu. Und koste es unser Leben...

 

Ein Stolperstein als Anstoß...

 

Kennen Sie Stolpersteine? Nein, ich meine nicht etwas, was der Landschaftsbauer schlecht verlegt hat.

Ich meine damit kleine quadratische Erinnerungstafeln aus Messing, welche dort im Bodenbelag zu finden sind, wo einst ein Mensch lebte, der im Nationalsozialismus für seine Überzeugung oder einfach nur Herkunft politisch verfolgt wurde und in diesem Zusammenhang deportiert, ermordet oder vertrieben wurde.

 

Auch in Dresden finden wir sie, z.B. auf dem Boden vor dem Glockenspielpavillon des Zwingers.

Mir ist während meiner Führungen, vor allem mit internationalen Gästen etwas aufgefallen: Es hat sich eine Art Bild in den Köpfen festgesetzt, das diese Stolpersteine an ausschließlich jüdische Opfer erinnern. Verfolgung im NS-Regime wird größtenteils mit Judenverfolgung gleichgesetzt. Je nach Tiefe des Bildungsstandes des Betrachtenden entsteht dadurch ein verzerrtes Bild der Geschichte. Die Stolpersteine erinnern an ALLE Deportierten dieser schrecklichen Zeit, auch Deutsche, die eben nicht blind folgten, sondern sich wehrten. Oder eben auch an Menschen, die einfach nur nicht ins arische System passten wie z.B. Sinti und Roma. Und somit auch an die große Zahl der Juden, deren Religion allein nicht nur dem Naziregime ausreichte, um zu hassen und zu vernichten. 

Die Nationalsozialisten hatten ein generelles Problem mit allen, die eben nicht "Germanisch" sein wollten, die Vernichtung der Juden war der traurige Höhepunkt eines Wahns, und so gingen die unvorstellbaren Opferzahlen und die Konzentrationslager in die deutsche Geschichte ein und prägen uns bis heute.

 

Meiner Meinung nach sollte man dabei nicht vergessen, das es eben nicht nur Juden waren, die verfolgt wurden. Der Wahnsinn konnte sich auch gegen das eigene Volk richten. Psychisch und körperlich Behinderte wurden zu Zigtausenden vernichtet (z.B. in Pirna Sonnenstein), politische Gegner kaltgestellt, verboten, teils ermordet. Oder aber- und damit kommen wir zu dem Detail, das ich Ihnen heute näher bringen möchte: germanisiert.

 

Die Sorben leben in Deutschland, also haben sie auch deutsch zu sein. Das ist die einfache Version der Politik, die seit Jahrhunderten, und nicht erst seit den Nationalsozialisten, wie ein Damoklesschwert über dieser Nationalität schwebt. Zuckerbrot und Peitsche trifft es sehr gut. Das viele Sorben dem Rattenfänger folgten, habe ich an anderer Stelle schon erwähnt- wer viel verspricht, wird gern gehört. Und wenn Adolf Hitler Eines konnte, dann Hoffnung in einer Nation schüren, die sich nach dem ersten Weltkrieg betrogen fühlte, und auch die Sorben gehörten in dem Fall zu dieser deutschen Nation. Wenige merkten von Anfang an, wohin es führt, manch Einer, wie z.B. Pawoł Nedo, distanzierte sich noch rechtzeitig. 

 

 

Der wohl bekannteste sorbische Widerständler wurde im Jahre 2011 von der katholischen Kirche selig gesprochen. Und da er auch einer von Ihnen ist- den Deportierten und vom NS-Staat getöteten Opfern- könnten Sie in Dresden auch über seinen Namen stolpern und sich fragen, wer der Mensch war, an den eine kleine Messingtafel vor der Katholischen Hofkirche in Dresden erinnert. 

 

 

Pawoł Nedo - sorbischer Pädagoge und Ethnologe

 

dt. Name: Paul Nedo

geb.  1. November 1908 in Kotitz

gest.  24. Mai 1984 in Leipzig

 

Pawoł Nedo wird von seinen Eltern deutsch erzogen, obwohl sie beide Sorben sind. Schon damals galt es als zukunftsförderlich, sich anzupassen, und so hätte Nedo einer von vielen Sorben werden können, die ihre Wurzeln verlieren und dann in der Statistik nicht mehr zählen. Wäre da nicht seine Mutter gewesen, die ihm doch noch das Lesen der sorbischen Sprache beibrachte und damit seine Zukunft bestimmen sollte. Da seine Sprachkenntnisse ausreichend waren, konnte er letztlich in Leipzig sogar den Vorsitz des Verbandes sorbischer Studenten führen. Sorbische Sprache, Literatur und Volkskunde sollten fortan sein Leben bestimmen.

 

Durch sein Engagement bei der 1000-Jahr-Feier in Bautzen wurde die NSDAP auf ihn aufmerksam und ernannte ihn zum  „Fachberater für wendische Kulturfragen“ des Bautzener NSDAP-Bezirks. Er wurde Anwärter der SA (wurde aber wieder ausgeschlossen) und forderte die Sorben bei den Novemberwahlen 1933 auf, den Nationalsozialismus zu unterstützen. Am 27. Dezember 1933 wurde er zum Vorsitzenden der Domowina ernannt. Eine steile Karriere als Diener des Nationalsozialistischen Staates stand bevor...

 

Die Domowina sollte sich ändern- politischen Einfluss auf die Sorben nehmen- zum Instrument werden. Zugleich beginnt 1935 die antisorbische Propaganda des Staates zu wirken. Letztlich soll den Sorben der Status der nationalen Minderheit aberkannt werden und die Domowina als "Vereinigung wendisch sprechender Deutscher" erscheinen. Doch an dieser Stelle erfolgt Widerstand. Am 18. Dezember 1937 wird die Domowina, der Dachverband der Sorben verboten. Die Nationalsozialisten hatten ihr Spiel eindeutig zu weit getrieben. Anpassung- ja. Sich führen lassen-ja. Die eigene Ethnie verleugnen- Nein.

 

Nedo geht nach Berlin, wird in einer polnischen Bank arbeiten. Es folgt eine erste kurze Haft im November 1939. Auch danach hilft es nicht, sich "unsichtbar" zu machen. Im November 1944 wird er erneut inhaftiert und bleibt Gefangener bis Kriegsende.

 

Nach Kriegsende wird er im Juni bereits wieder Vorsitzender der neu gegründeten Domowina und wir sich in den nächsten Jahrzehnten seines Lebens der sorbischen Kultur und ihrer Förderung widmen. 

 

Marja Grólmusec - sorbische Publizistin und sozialistische Widerstandskämpferin

 

dt. Name: Maria Grollmuß

geb. 24. April 1896 in Leipzig

gest. 6. August 1944 in Ravensbrück

 

Marja war die Tochter des  promovierten Philologen und Schuldirektors Jan Grólmus. Ihre Laufbahn begann sie als Volksschullehrerin in Leipzig. Danach studierte sie  in Berlin und Leipzig Philologie und Historie, sie promovierte 1928 und war bereits Zeit ihres Studiums Mitglied im Windthorstbund und dem Sozialistischen Studentenbund.

Als Journalistin verfasste sie Artikel für Zeitschriften der katholischen Jungendbewegung, politisch legte sie sich zwar auf das linke Spektrum fest, wechselte aber von SPD zu KPD, letztendlich schloss sie sich mit anderen Gleichgesinnten der SAPD an. 

 

Nach 1933 wird sie im Arbeitskreis Revolutionärer Sozialisten illegale politische Arbeit leisten. Sie hilft politisch Gefangenen, transportiert Illegale Literatur und wird Fluchthelferin, wobei Radibor in der sorbischen Oberlausitz ihr Ausgangspunkt wird. 1934 erfolgt die Denunziation, die zur Verhaftung und Verurteilung zu sechs Jahren Zuchthaus führen soll. Während ihrer Inhaftierung in Waldheim wird sie sich besonders der katholischen Spiritualität widmen. Vor allem die Marienmystik, die auch heute noch in der sorbischen Lausitz erkennbar ist, wird Thema in den verschlüsselten Briefen an ihre Schwester sein. 1940, nach Haftende, stellt man sie vor die Wahl: Spitzeltätigkeit im Sorbischen Widerstand- oder... Sie lehnt ab und wird in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück bei Fürstenberg an der Havel überstellt. Die bereits bekannte Krebserkrankung wird zu lange bewusst vernachlässigt, eine zu spät erfolgte Tumoroperation wird ihr Tod.

 

Sie ist in Radibor begraben. Gedenktafeln, Schulbenennungen und ein Grollmuß-Denkmal vor der Radiborer Schule erinnern an sie. Seit April 2021 gehört dieses Denkmal zu den "Frauenorten in Sachsen".

 

Alojs Andricki - katholischer Priester und Märtyrer

 

dt. Name: Alois Andritzki

geb.  2. Juli 1914 in Radibor

gest. 3. Februar 1943 im KZ Dachau

 

Alojs war der Sohn des Lehrers, Schulleiters, Organisten und Kantors Jan Andricki und dessen Frau Madlena Andriccyna, geb. Cyžec. Nach dem Abschluss der Hochschulreifeprüfung an der katholischen höheren Aufbauschule in Bautzen  studierte er von 1934 bis 1938 an der Philosophisch-Theologischen Akademie Paderborn Theologie und Philosophie. Danach lebte er im Priesterseminar in Schmochtitz. Die Priesterweihe empfing er am 30. Juli 1939 durch Bischof Petrus Legge im St.-Petri-Dom zu Bautzen, danach wurde er Kaplan an der katholischen Hofkirche zu Dresden. Seine Arbeit bezog sich vor allem auf die Jugendseelsorge und als Erzieher.

 

Seit Beginn seiner Laufbahn war Andritzki den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, zu offen sprach er sich gegen deren Politik aus, zu überzeugt lebte er die Nationalität "Sorbisch". Offen sprach er sich gegen die Verfolgung von Geistlichen und Gläubigen aus, er wagte es den NS-Ideologen Alfred Rosenberg offen zu kritisieren. Das sollte Folgen haben...

 

Die Einschüchterungstaktik der NS versagte bei ihm, er wurde im Juli 1941 mithilfe des "Heimtückegesetzes" zu 6 Monaten Haft verurteilt. Doch auch danach blieb der katholische Kaplan renitent und war zu keiner Zusammenarbeit zu bewegen. Er wird am 2. Oktober 1941 nach Dachau überstellt. Dort wird er im "Pfarrerblock" untergebracht Nicht nur er weigerte sich, die Ideologie in der Kirche zu verbreiten. Doch auch in der Haft verließ ihn der Glaube nicht und so sollte er sich auch dort aktiv seelsorgerisch betätigen. Die ständige Unterernährung der Häftlinge führt letztlich zu einer Typhusepidemie im Konzentrationslager, Andritzki erkrankt kurz nach Weihnachten 1942. Am 19. Januar 1943 wird er sich ins Krankenrevier begeben. Er soll einen Pfleger gebeten haben, einen Priester zur Spendung der heiligen Kommunion kommen zu lassen. Er stirbt durch die Giftinjektion des Pflegers, der sie mit den Worten begleitet: "Christus will er? Eine Spritze bekommt er!"

 

Nachdem Alois Andritzkis Urne jahrzehntelang auf dem alten Katholischen Friedhof in Dresden bestattet war, wurde sie am 5. Februar 2011 in feierlicher Prozession zusammen mit 2 weiteren Märtyrern aus der Zeit des Nationalregimes in die Dresdner Hofkirche überführt.

 

Am 13. Jnui 2011 wurde Alois Andritzki von der katholischen Kirche selig gesprochen. Er ist nicht nur der erste sorbische Selige, sondern auch der erste sächsisch Stämmige. Er wird vor allem von den katholischen Jugendlichen geehrt und ihm widmete man Strassen, Kindergärten und Schulen.

 

Alois Andritzki Priestergruft Alter katholischer Friedhof. Bild: Susann Wuschko
Die Priestergruft auf dem alten Katholischen Friedhof. Hier war Andritzki einst bestattet worden. Heute steht seine Urne auf dem Märtyreraltar in der Katholischen Hofkirche zu Dresden.