Die Drossel war der Bräutigam, die Amsel war die Braute... Moment- ich kenne das anders!


 

"Ein Vogel wollte Hochzeit machen, in dem grünen Walde -Fideralala..."

 

Singen Sie schon mit? Ich bin mir sicher, Sie alle kennen dieses Volkslied. Der Text ist wohl schon über 500 Jahre alt, die heutige Melodie stammt aus Schlesien (Bunzlauer Gegend) und wurde wohl erst am Anfang des 19. Jh. geträllert. Es ist ein deutsches Lied, das im Laufe der Jahrhunderte viele neue, manchmal recht zotige Strophen dazu erhielt. Die darin wieder gespiegelte Hochzeit findet im Grünen Wald statt- also wohl im Frühling, wo all die Vöglein singen. Warum ich gerade jetzt, im schönsten Januar- Schnee darauf komme? Nun- weil bald Ptači kwas ist! 

Auf der Suche nach dem "Nest"

Wenn es draußen am kältesten ist, wenn Mensch und Tier zusammenrückt und hofft, genügend Speise bis zum Frühling zu haben; die Felder brach liegen und die Eisschicht auf den Fischteichen immer dicker wird- dann wird es still auf dem Land. In der Stadt geht das Treiben weiter, das Handwerk ruht nicht. Doch die meisten Sorben (bis zu 85% im 17. Jh.) sind Bauern. Sie sind nicht willkommen in den großen Städten, dies geht bis hin zu Deutschtums-Paragraphen für die Zünfte- keine Sorben hier erlaubt! 

 

Willkommen geheißen hat sie niemand- im 12.Jh. werden Deutsche, Dänen und weitere Verbündete sogar einen Kreuzzug gegen die polabischen Stämme antreten, die bereits seit dem 7.Jh. hier siedeln. Im Jahre 1168 werden Bischof Absalon und König Valdemar der Große das Heiligtum der Ranen auf Rügen- Arkona mit seiner Svantevit-Gottheit- vernichten. Die westslawischen Stämme des heutigen Nordostdeutschlands und Nordwestpolens werden vom 12.-14. Jahrhundert eine Überformung durch den sogenannten "Hochmittelalterlichen Landesausbau" erleben- ebenso die weiter südlich lebenden Sorben der Lausitz. Die letzte Enklave der "Polaben" oder auch "Wenden" wird es immerhin noch bis in die Mitte des 18.Jh. im Bereich des Höhenzuges Drawehn geben, wonach die Sprache dann auch Drawähnopolabisch  genannt wird.

 

Sie wissen gar nicht, wo das ist? Wo ich gerade auf der Deutschlandkarte umherirre und den Ursprung der sorbischen Vogelhochzeit suche? Fahren Sie mal (von Dresden) nach Hamburg. Aber bitte nicht die Autobahn über Berlin, sondern die ungewöhnliche Strecke über Magdeburg, Gardelegen, Lüchow /östlich von Lüneburg. Also sehr viel Landstraße quer durch Niedersachsen in der Nähe der Elbe. Ja- das zieht sich. Aber genau hier hört die Geschichte der Polaben auf- im Wendland.  Hier finden sie so schöne, slawische Ortsnamen wie Lüchow, Wustrow oder auch so einen schönen, plattdeutsch verschobenen Ort namens "Waddeweitz". Herrliche Bauernhöfe, wunderschöne Natur und dann natürlich die Lüneburger Heide- es ist ein wirklich schönes, ländliches Gebiet, das es wert ist, entdeckt zu werden.

 

Doch was haben die Polaben mit der sorbischen Vogelhochzeit zu tun und warum schicke ich Sie, die nach den Sorben suchen, plötzlich aus der Lausitz fort? 

 

Wir lagen alle beieinander in einem Nest... die Slawen sind ein weit verbreitetes Volk: Russen, Serben, Polen, Sorben usw. - als wir schlüpften und in die Welt hinaus flogen, verloren wir den Kontakt zueinander. Aber ein krächzender Rabe bleibt ein Rabe und wird nie eine singende Drossel sein...   

Wer soll es sein- das Lied von den Vögelein...

Das heute so bekannte Lied von der Vogelhochzeit hat womöglich einen slawischen Ursprung: Ein Lied, das heute völlig unbekannt ist. Zugleich ist es das einzige polabische Lied, das uns noch überliefert ist. Um es zu singen bräuchten Sie mindestens drei Sänger, denn es erfolgt mehrstimmig und am Ende trommeln alle auf den Tisch. Bis in das 17. Jahrhundert hinein hätten Sie polabische Bauern noch dieses Lied singen hören, es nannte sich auch: Die lustige Hochzeit.

 

Wir verdanken es dem Pastor Christian Hennig von Jessen (1649-1719, gestorben in Wustrow/Wendland), das es erhalten blieb- er setzte es in den Anhang seines Manuskripts zum Wendischen Wörterbuch- er forschte nach einer aussterbenden Sprache. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben, wie Polabisch aussieht, hier die erste Strophe des Liedes. (Quelle Wikipedia, weitere Strophen finden Sie hier)

 

Kåtü mes ninkă båit?

Ťelka mes ninkă båit.

Ťelka rici

Våpăk kå naimo kå dvemo:

Joz jis vilťĕ grüznă Zenă;

Nemüg ninkă båit

Joz nemüg ninkă båit.

 

Wenn Sie ein wenig slawisches Blut in sich haben zuckt es da wahrscheinlich gerade. Ninkă- das ist eine Art Verneinungs-Form wie "kann nicht". Zenă -Frau. Aber was ist båit? Ich verrate es Ihnen: Braut. Ťelka: Eule. 

 

Übersetzt (dank Wikipedia, das hätte ich natürlich nicht geschafft, ich spreche nicht Polabisch...)

 

Wer soll die Braut sein?

Die Eule soll die Braut sein.

Die Eule sprach

aber zu ihnen beiden:

Ich bin eine ganz hässliche Frau;

Kann nicht die Braut sein,

Ich kann nicht die Braut sein.

 

In den nächsten Strophen werden dann alle möglichen Freiwilligen gesucht- Zaunkönig, Rabe oder Krähe, Wolf, Hase, Storch, Fuchs. Es sind also nicht nur Vögel angesprochen- aber keiner will seine Position übernehmen außer der Fuchs als Tisch am Ende. Es handelt sich um ein "wendisches Spottlied" und wird bei Goethe in der Fischerin sogar noch einmal Verwendung finden.

 

Amsel, Drossel, Eule oder Rabe? Die Sorben turteln anders...

Am 25. Januar stellen die Kinder abends einen leeren Teller auf die Fensterbank. Am Morgen haben ihnen die Vögel dann die Sroki oder auch die Schmätzl oder Cremenester gebracht. Sroki- das heißt Elstern (Einzahl Sroka), sind Hefeteigvögel. Schmätzl sind Baiservögel, die Nester sind Keksböden mit Creme, Schokoüberzug und bunten Zuckereiern. Das kann je nach Region der Lausitz variieren und auch die deutschen Kinder feiern Vogelhochzeit bei uns.

 

Die Kinder würden im Kindergarten dann eventuell einen verkleideten Festumzug oder ein gemeinsames Singen veranstalten. Und genau an dieser Stelle gehen deutsche und sorbische Bräuche auseinander.

 

Das deutsche Brautpaar wird als Amsel und Drossel verkleidet, bei den Sorben symbolisiert das kleine Paar die Elster und den Raben und tritt eventuell in der sorbischen Hochzeitstracht auf- sieht also gar nicht aus wie ein Vogelpaar.

 

Es gibt auch eine Version für Erwachsene als Theaterstücke mit aktueller Satire, meist mit aktuellen Bezügen zur Politik und deren Einfluss auf die sorbische Minderheit. Wenn man bedenkt, das das alte Polabische Lied auch als Spottlied daher kommt und keiner sich "ergeben" will, ist das ein sehr interessanter Aspekt.

 

Was bei den Kindern erstmal ganz nebenbei als Unterschied erscheint, ist bei genauerer Betrachtung ein sehr interessantes Detail mit tiefer Bedeutung.

 

Krächzende Elster oder zwitschernde Amsel?

Die Vögel, die zur Braut erwählt werden, könnten nicht verschiedener sein!

 

Elstern sind: eitel, diebisch, Boten der Todesgöttin Hel, im Bunde mit den Hexen- und sie können nicht richtig laut singen sondern schäckern nur unverständlich (oder singen ganz leise, damit sie nicht gleich jeder hört!) . Sie sind die Unglücksbringer, die so manch einer so ausgiebig bekämpft hat (Ausrede: Nesträuber), das sie in den 60er Jahren schon einmal vom Aussterben bedroht waren. Auch heute noch kämpfen Naturschützer darum, die Elstern zu schützen, und immer wieder kommen vorurteilsbelastete Kleingärtner und wollen eine Tötungserlaubnis. Die Elster ist das Sandkorn im Auge der westlichen Kultur. Sie ist unangepasst, sie bedroht kleine Singvögel, klopft sie an Ihr Fenster bringt sie den Tod. Dieser teils aasfressende, schlechte Omen bringende Hexenvogel- die Kratzbürste schlechthin- wird bei den Sorben zur Braut...

 

Amseln sind: einsam im Wald lebende, nette Einsiedler mit Drossel-Verwandtschaft, die sogar zum Heiligen Kevin gehören (das ist kein Scherz, es gibt einen irischen Heiligen namens Kevin!). Sie sollen der Magie fähig sein- aber die nutzen sie nur, um Ihr Haus vor dem Blitz zu schützen oder für Gutes. Ihr Gesang (der Männchen...) ist so wunderschön, das sie früher gern in goldenen Käfigen eingesperrt wurden oder sogar gezüchtet, um die Menschen mit ihrem melodiösen Zwitschern zu unterhalten. Und viel mehr gibt diese deutsche Braut nicht her... sie ist hübsch und käfig-kompatibel. Wenn sie frei sein darf, dann reist sie eventuell gen Süden.

 

Beim Bräutigam sieht es nicht viel anders aus:

 

Der Rabe ist: ein Galgenvogel (Aasfresser). Ein dämonisches Wesen, böses Tier, im Bund mit dem Teufel (erst seit der Christianisierung). Er zieht Unglück magisch an und beherrscht selbst die Magie. Er sagt nicht viel außer: Krah. So richtig schlau kann man daraus nicht werden- er ist so Manchem regelrecht suspekt, weil er so intelligent ist. Er sitzt den Winter einfach aus. Die Krähen und auch Elstern gehören zu ihm- auch sie schwarze, dubiose Gestalten auf einsamer Flur.

 

Die Drossel ist: der kleine Tausendsassa. Tanzt auf jedem Kontinent, die Amsel gehört zu ihrer Familie. Sie unterscheidet sich demnach auch nicht gänzlich von ihr, was ihre Mythologie angeht (hat sie überhaupt eine?) Sie kann gescheckt oder mit weißem Hals daher kommen, alles ist möglich, Anpassung nach Situation und geographischer Lage. In unseren Breiten ist es am ehesten wohl die Singdrossel, die Sie antreffen. Außer im Winter, da reist sie gern in den wärmeren Süden.

 

Was stimmt nicht mit diesen Sorbischen Vögeln?

Sie singen nicht für Jedermann, sie passen sich nicht an, sie bleiben zu Hause, wenn andere der Süden und die Ferne lockt. Immer kommen sie in Begleitung von Einsamkeit, Schwärze, Tod daher. Unverständliche Friedhofsvögel eben. Eigenbrödler. 

 

Das sorbische Kinder-Brautpaar könnte nach all diesen Betrachtungen nicht schlimmer ausfallen. Was stimmt nicht mit den Sorben? Warum wählen sie solche Unglücksraben für ein so freudiges Ereignis wie eine Hochzeit?

 

Nun, da gibt es einige andere Seiten von Raben, Krähen und Elstern, die seltener betrachtet werden. Sie sind die intelligentesten Vögel- Elstern erkennen sich selbst im Spiegel- von wegen eitel. Raben lernen Kunststücke die sie erstaunen lassen. Zugleich sind sie regelrechte Schwergewichte gegenüber der Drossel- sie sind stabil, kein Wind wirft sie so schnell aus der Bahn. Sie sind beharrlich und planerisch- wenn es etwas zu entwenden gibt, arbeiten sie in Gruppen, teils sogar über ihre Arten hinweg. Einer lenkt ab, einer klaut. Der Rabe denkt, bevor er lenkt...

Damit haben sie schon immer überlebt und waren viel früher im Umkreis der Menschen daheim als die Drossel oder Amsel.

 

Elstern nisten auf Weiden in Sümpfen oder auf Inseln, Raben auf einzelnen Bäumen oder wo immer es paßt. Zum Vergleich: Drossel und Amsel bevorzugen Wälder. Die Sumpflandschaft der sorbischen Lausitz ist perfekt für die Elster, sie bildet Nichtbrüter- oder Schlafgemeinschaften, fühlt sich also auch in großer Gruppe unter ihresgleichen wohl und nutzt diese Gruppe zum Schutz vorm Feind. Sie stiehlt auch nicht alles, was glänzt. Erstmal mitnehmen, später aussondern oder aber für schlechte Zeiten aufbewahren ist die Devise. Die Elster hat Erfahrung und plant, um mit den wenigen Ressourcen lange durchzuhalten. So schwarz und mysteriös die Raben und Elstern wirken- sie sind ehrliche, standhafte und soziale Wesen die gelernt haben, mit ihrem Image umzugehen und sich nicht um anderer Meinung scheren.

 

Betrachtet man das Gefieder der Elster und die sorbisch-katholische Tracht fällt durchaus eine Farbverwandtschaft auf. Schwarz mit grün und blau, gern auch schimmernd. Dazu weiß und überbordender Schmuck. So ein bisschen ist die kleine Braut auch eine "Elster", die sich hübsch gemacht hat. Und der Bräutigam im klassischen Schwarz.

 

Die wendische Mentalität

Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Wenden, Polaben und Sorben im deutschsprachigen Raum geduldet, verfolgt, vorgezeigt, bekämpft oder ignoriert. Je nach politischer Wetterlage war man den Slawen, die übrigens nicht immer die Minderheit waren, positiv oder negativ geneigt. Immer wieder wurden sie darauf hingewiesen, sich anzupassen- endlich ihr "Deutsch" sein anzunehmen. Egal, welcher Herrscher: der beste Untertan ist der, der noch singt, wenn er längst im Käfig sitzt! Ausharren und sich treu bleiben gilt als Sturheit, mit dem Wind gehen, sich anpassen, öffnen für alles Neue als modern und erstrebenswert. Wer immer mit der Zeit geht, geht auch blindlings mit ihr in den Untergang- das haben die Slawen schmerzhaft gelernt. Die Sorben sind die letzte slawische Gruppe im deutschsprachigen Raum, die über 1000 Jahre Siedlungs-und Anpassungsgeschichte überlebt hat- und auch Sie waren und sind bedroht, teils auch aus sich selbst heraus.

 

Protestantische Sorben öffneten sich der deutschen Sprache- sie verlernten das Sorbische. In der DDR wurden sie zum Vorzeigeobjekt, doch Freiheit brachte das nicht, eher Gefangenheit im politischen System. Nach 1990 geschieht der Supergau- sie erliegen den Versprechungen der schönen, neuen Welt. Alles, was glänzt, soll mein sein. Es brauchte 15 Jahre, bis der Flimmer der großen, weiten Welt verblasste.

 

Heute sind die Sorben der Lausitz wieder aktive Planer und nutzen ihr Wissen, ihre Erfahrung und lassen sich nicht mehr ganz so schnell beeindrucken. Aus Erfahrung wird man klug. Die Elster ist nicht eitel, nur weil sie sich im Spiegel betrachtet. Sie hat nur gelernt, dadurch ihren eigenen Rücken zu sehen und sich selbst zu erkennen.

 


Ergänzung: Ein neuer Fund zum polabischen Lied von den Vögelein...

 

Manchmal entdeckt man erst später und durch die Recherche an ganz anderen Themen Dinge, die  man so nicht ahnte. Das polabische Lied von den Vögelein hat durch Arnošt Muka (1854-1932) Einzug in das obersorbische Liedgut gefunden! Es heißt bei uns "Limborski Kwas" (Lüneburger Hochzeit) und wird von Chören traditionell zur Vogelhochzeit gesungen sowie vom sorbischen National-Ensemble gepflegt. Eine niedersorbische Variante entstand erst 1999.

 

Es ist schön, wenn sich die Vermutung der Zusammenhänge anhand von realen Quellen so schön bestätigen lässt- die polabische Version der Vogelhochzeit und die Sorbische Version haben also durchaus eine Gemeinsamkeit- ein Lied, das einst polabisch war und fast ausgestorben wäre blieb durch die Sorben in ihrer Übersetzung am Leben.

 

Quelle der Entdeckung: Potsdamer Beiträge zur Sorabistik, 03, 2000, Seite 11