Slawische Göttinnen- in sorbischen Sagen?


Es klingt sofort nach Emanzipation, wenn eine Frau als erste Betrachtung eines historischen Themas im Bezug auf "Götterwelt der Sorben" die männlichen Götter anscheinend übergeht und gleich auf die übermächtige Damenwelt schwenkt, oder?

 

Es gibt wohl mehrere Gründe, der Einfachste: Das Lexikon der Göttinnen von Patricia Monaghan wanderte neulich in den Bibliothekskorb (nachdem es in den vergangenen Jahren sehr oft Titel zu den "Göttern" waren, zu denen es anscheinend sehr viel mehr zu berichten gibt oder der Gender-Wahn noch nicht zur Titel-Anpassung geführt hat...). Die Amerikanerin hat vor allem Eins getan, was anderen Autoren bisher etwas abhanden gekommen ist- sie ist den weiblichen Göttinnen bis in die kleinsten verschütteten Überlieferungen gefolgt und führt so einige Damen auf, die unsere (männlich-christliche?) Geschichte fast vergessen hat. Und sie tut noch mehr- sie bietet im Anhang sogar eine Übersicht der Göttinnen einzelner kultureller Zuordnungen- Gold für die Suche nach slawischen Göttinnen, wenn man eben nicht alle anderen griechischen und polynesischen Göttinnen zum Ziel der Betrachtung hat! Es ist also vorrangig der Grund der Verfügbarkeit eines Buches, der zu den GöttINNEN führt.

 

Allein der Umstand, das diese Damen so verschollen sind ist dann auch schon wieder ein weiterer Grund, diese erst recht zu erwähnen! Ziel ist es schließlich immer, Neues und bisher wenig Bekanntes zugänglich zu machen und neue Zusammenhänge zu finden oder neue Denkmuster anzuregen. Und da sich innerhalb des Minderheiten-Volkes der Sorben nur sehr wenige "Zugehörige des Stammes" zu den heidnischen Ursprüngen ihrer Sagen bisher in modernen Medien geäußert haben, andererseits aber ein wachsendes Interesse von "außerhalb" erfolgt, ist dies eine zusätzliche Motivation, bisher getrennte Welten näher aneinander zu rücken und die Verwebungen der Zeit darin zu finden.

 

Sorbische Sagen basieren auf viel älteren Glaubensvorstellungen- und nicht nur für Sorben kann es interessant sein, von Slawischen Göttinnen zu erfahren, die heute regional erscheinen, im Weiterbestehen einer Volksgruppe innerhalb Deutschlands aber ein ganz anderes Licht auf die Verbreitung dieses Glaubens in der Vergangenheit werfen können. Die Sorben sind in sich selbst sehr geschlossen- ihre Sagenwelt ist so eigenständig gewachsen, das es manchmal schwer ist, den Ursprung zu erkennen. Die Mittagsfrau sollte mich auf eine ganz neue Spur bringen- und so soll dieser Artikel die Anregung und zugleich die erste Lösung für eine "Sorbische Ur-Göttin" sein!

 

Slawisch-sibirisch: Die Göttinnen von einst- verwoben in sorbischen Sagen?

Nicht jede der hier vorgestellten Göttinnen kann so eindeutig in den Sorbischen Sagen identifiziert werden, trotzdem werden Einige aufgenommen, um auch Denjenigen, die nach Slawischer/Sibirischer Urgeschichte suchen einen Anhaltspunkt zu geben- und wer weiß, vielleicht entdecke ich später noch eine Sage, die mir gerade nicht so präsent ist oder ein anderer sorbischer Urstamm kennt sie noch- ich kann an der Stelle nur auf die Milcini und Lusici eingehen, da dies meine Heimat und mein Ursprung ist.

 

Andererseits sind für mich die sibirischen Göttinnen nicht ganz so unwichtig, wie es vielleicht anfangs erscheint. Es gibt in den Urformen einige Parallelen. Zum anderen kam ich bei einer Namensforschung zum Ursprung meiner eigenen Großeltern nicht etwa auf einen sorbischen Ursprung, obwohl ihr Name im sorbischen Raum mehrfach zu finden ist und mir immer als "sorbisch" vermittelt wurde; stattdessen gibt es Parallelen zum Russischen. Nicht jeder Sorbe stammt schließlich von den ersten Siedlern ab- es gab spätere Zuzügler, nicht nur Deutsche. Zum anderen wissen wir nicht, wie alt die Völker, aus denen die Sorben hervorgingen, wirklich sind und woher sie ursprünglich stammen, wenn es so etwas wie einen Ursprung überhaupt geben kann- eine Betrachtung Slawischer Urformen beinhaltet dementsprechend möglichst alle slawischen Sprachgebiete.

 


1. Teil : Die Poludnica - die Urform der sorbischen Mittagsfrau

obersorbisch: přezpoł(d)nica

 

Sie ist die wohl einfachste Herleitung zum Thema und eine regelrechte Steilvorlage zum Thema: mächtige Göttin wird zu "Naturgeist" deklassiert!

 

Die Mittagsfrau taucht in den verschiedensten Ländern auf, in Osteuropa zumeist als Göttin der Mittagsstunde in Weiß. Sie konnte mit der Berührung ihrer Hand töten und ließ sich vom Wind über die Felder tragen- so die verbreitetste Version. Man findet sie in Russland, in Serbien und auch in Finnland. Immer mit kleinen Abweichungen ihrer Funktion oder der Art, wie sie tötet. Interessant im Hinblick auf die sorbische Mittagsfrau ist die Überlieferung aus Polen:

 

"In Polen dagegen war sie sehr groß und trug eine Sichel. Sie fing zur Mittagszeit auf den Feldern Herumlaufende und gab ihnen schwere Rätsel auf. Wenn sie diese nicht lösen konnten, fungierte sie wie ein weiblicher Gevatter Tod als Schnitterin." (Zitat aus Patricia Monaghan. Lexikon der Göttinnen.) 

 

 

Sorbisches Handwerk- Flachsverarbeitung Bildrechte: Susann Wuschko
Die Verarbeitung des Flachses- Spitschka-Oma als Fotomodell in den 70er Jahren....

Das Zitat macht es klar: Die sorbische Mittagsfrau stammt ursprünglich aus Polen. Sie wurde im Hinblick auf die Wichtigkeit des Flachses im täglichen Leben der Sorben etwas angepasst und greift so nur die Mädchen an, die sich nicht an die Mittagsruhe in größter Hitze halten. Sie lässt sich durch die Geschichte der Flachsherstellung bezähmen. Gleichzeitig wird die Geschichte somit zum Lehrstück für Kinder, wie der Flachs/ das Leinen entsteht. Ich behaupte, sie dürfte nur so lange überleben, weil ein kluger Kopf dieses Lehrstück der Kindererziehung daraus machte und ihr sämtliche Macht genommen wurde, indem man sie mit klugen Worten ablenkt! Als absolut tödliche Göttin hätte sie spätestens im Zeitalter der Erkenntnis, was ein Hitzschlag ist, ausgedient, wäre aber wohl schon vorher als "Aberglaube" verbannt worden. Wem wir die Anpassung zum Lehrstück verdanken weiß ich nicht, aber ich bin demjenigen dankbar, so ging eine der wohl wichtigsten Göttinnen nicht verloren- die Göttin über Leben und Tod in einer Ackerbau-Gesellschaft! 

 

Mit der Reise der Mittagsfrau von Ost nach West passiert zugleich etwas mit der Macht und ihrem Aussehen: in Russland ist sie die außerordentlich Schöne, die ihren Opfern gnadenlos den Hals umdreht. Kein Rausreden, kein Pardon- die Göttin ist übermächtig.

 

In Mähren angekommen ist sie eine alte Frau mit Pferdehufen, starr blickenden Augen und zerzaustem Haar. Dazwischen macht sie Karriere als Kinderfängerin, Bewacherin des Korns vor Dieben oder aber in Sibirien als Alte aus den Brennnesseln, die unartige Kinder in Höhlen verschleppt (Klingt irgendwie nach Hänsel und Gretel...). 

 

 

Sorbisches Handwerk- Flachsverarbeitung Bildrechte: Susann Wuschko
Das Färben des versponnenen Flachses- so entsteht Leinen

Von der schönen aber tödlichen Göttin zur Alten Hexe... das ist Glaubensanpassung par excellence! Ein Schelm, wer denkt das dies etwas mit dem Christentum zu tun hat! Im tiefsten agrarischen Hinterland ist der Glaube vor 2000 Jahren noch nicht angekommen, mit der Völkerwanderung nehmen die Slawen ihre Göttin mit auf die Reise- nur wird diese sie einige Federn kosten und am Ende- im frühen Mittelalter, in dem die Kirche regiert und Böhmen wichtiges kirchliches europäisches Land ist bleibt nur noch der Gruselfaktor. Der Pferdehuf als symbolische Zuordnung zum Teufel. Ob sie, als sie ihre Reise gen Westen antrat schon ahnen konnte, das sie dem Schwarz-Weiß-Glauben unterliegen würde und die ursprüngliche gefürchtete Naturmacht- die nichts Teuflisches an sich hat sondern einfach nur pure Todesmacht ist- zum Kinderschreck entwickeln würde- den die klugen sorbischen Mädchen auch noch mit langatmigem Geschichtenerzählen ein Schnippchen schlagen? Wenn uns diese Geschichte etwas lehrt dann wohl, das Schweigen nicht immer Gold ist... und Schönheit und Macht vergänglich sind, wenn keiner mehr daran glaubt!

 

Sorbisches Handwerk- Flachsverarbeitung Bildrechte: Susann Wuschko
Das Weben der Leinwand- hier bei einem Umzug in Schwarzkollm von meiner Uroma gezeigt

Die besondere Aufnahme- zu den Bildern auf dieser Seite

 

Die Bilder auf dieser Seite sind private Aufnahmen der Familien Rockott und Wuschko. Ich bitte darum das Urheberrecht zu wahren und mich zu kontaktieren, falls Interesse an einer Weiterverwendung besteht! Da sie in ihrer Einzigartigkeit das noch immer aktive sorbische Alltagsleben in den 70er Jahren in Schwarzkollm wiedergeben haben sie wohl mittlerweile einen gewissen historischen Wert- Aufnahmen dieser Art sind selten.

 

Meine Uroma- von uns Spitschka-Oma genannt (der Name Spitschka leitet sich von spinkać ab- einer kindlichen Ausdrucksform für "schlafen", da diese Oma als Älteste im Ausgedinge- dem kleineren Bau des Dreiseithofes- "schläft") verstarb 1987. Sie trug täglich die sorbische Alltagstracht wie auf den Fotos zu sehen- dies ist keine "Darstellung" im Sinne von Inszenierung. Die Fotos entstanden als kleine private Serie mit dem Gedanken, diese Schritte der Flachsverarbeitung bildlich festzuhalten- so wie wir heute ein Foto von unseren Back-Resultaten machen oder tägliche Erlebnisse festhalten. Was für uns heute alltäglich ist war damals eher die Ausnahme, meist wurde nur die große Festgesellschaft fotografiert oder für eine Veröffentlichung der Domowina das Bild inszeniert. Bilder von den älteren Frauen des Dorfes in ihrem Alltag- bei der Arbeit- verstecken sich vielleicht noch in der ein oder anderen Fotokiste, doch ob sie jemals veröffentlicht werden, ist fraglich.

 

Ich hoffe, Ihnen damit einen besseren Einblick in das Alltagsleben der Sorben von einst geben zu können und freue mich, das meine Familie noch solche kleinen Schätze aufbewahrt hat- und das unsere Spitschka-Oma so ein originales Fotomodell war!